Dienstag, 24.09.2013

Demenz als Teil der alternden Gesellschaft

Zweiter Münsterländer Demenz-Kongress fand im St. Rochus-Hospital als Fachtagung in Telgte mit über 180 Teilnehmern statt.

Über 180 Fachleute aus Krankenpflege, Medizin und Sozialarbeit erörterten im St. Rochus-Hospital Telgte Wege zu einer besseren Versorgung dementer Patienten im Krankenhaus.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr beim Münsterländer Demenz-Kongress im St. Rochus-Hospital Telgte: „Das Thema Demenz gehört in die Mitte der Gesellschaft“.

Deutschland muss sich auf eine dauerhaft hohe Zahl demenziell erkrankter Menschen einstellen. „Wir sollten Demenz als Teil der alternden Gesellschaft betrachten und akzeptieren – auch als Preis des langen Lebens, das für immer mehr Menschen möglich wird“, so Peter Wißmann, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Demenz-Support-Zentrums Stuttgart.

Der Experte plädiert für den „zivilgesellschaftlichen Umgang“ mit Demenz. „Das bedeutet unter anderem, Stigmatisierungen aufzuheben und Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern“, unterstrich Wißmann unter dem Beifall von mehr als 180 Pflegenden, Ärzten und Sozialarbeitern aus Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Bundesländern. Sie waren im St. Rochus-Hospital Telgte zum „2. Münsterländer Demenz-Kongress“ zusammengekommen. Veranstaltet wurde er gemeinsam vom Demenz-Servicezentrum Münsterland und dem St. Rochus-Hospital Telgte. Die Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ist ein Krankenhaus der Franziskus Stiftung, der größten konfessionellen Krankenhausgruppe Nordwestdeutschlands.

Die medizinische Wissenschaft stehe angesichts demenzieller Erkrankungen immer noch „mit relativ leeren Händen da“, sagte der Fachmann. Umso mehr sei es an der Zeit, sich in Deutschland die Frage zu stellen, wie man im Alter und mit Demenz leben wolle. Bürger, professionelle Helfer und Angehörige könnten bei gemeinsamem Handeln demenzkranken Menschen ein „Leben in neuer Qualität“ bieten. „Eine Enttabuisierung des Themas und die Integration der Erkrankten sind nicht Ausdruck von Sozialromantik, sondern eine notwendige, lösbare Aufgabe“, unterstrich Wißmann.

Medizinische und statistische Aspekte der Alzheimer-Krankheit erläuterte Professor Dr. Konrad Beyreuther. Alzheimer werde als Verlust von Nervenzellkontakten und Nervenzellen definiert. „Davon sind in Deutschland derzeit 1,3 Millionen Menschen betroffen; täglich kommen etwa 900 Neuerkrankungen hinzu“, so der Direktor des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg. Zu den Hauptrisikofaktoren zählten Depressionen, körperliche und geistige Inaktivität, Übergewicht, Rauchen und Diabetes. Außerdem gebe es offenbar eine genetische Veranlagung. Die direkten Kosten von Demenz-Erkrankungen betrügen in Deutschland etwa zehn bis 15 Milliarden Euro jährlich; das entspreche 27 bis 41 Millionen Euro am Tag. „Pro Jahr werden weltweit rund 10.000 wissenschaftliche Publikationen über Alzheimer veröffentlicht; gleichwohl wissen wir wenig über die genauen biochemischen Ursachen dieser Krankheit“, konstatierte Beyreuther, der zu den führenden deutschen Alzheimer-Forschern zählt. Und: „Wir müssen lernen, mit Alzheimer umzugehen, weil wir diese Krankheit derzeit medizinisch nicht besiegen können“.

Professor Dr. Jörg Pantel erläuterte in einem weiteren Vortrag Interventionsansätze bei Demenz, die von der Universität Frankfurt bereits praktisch erprobt wurden. Über Lebensqualität bei demenzkranken Menschen referierte Professor Dr. Rolf-Dieter Hirsch aus Bonn. „Beziehungen, Respekt, Beschäftigung, Vertrauen und Trost sind für Betroffene überaus bedeutsam“, unterstrich der Spezialist für Gerontopsychiatrie. Zahlreiche weitere Vorträge des zweitägigen Kongresses befassten sich mit Aspekten der Demenz-Prävention und der Integration Demenzkranker in den gesellschaftlichen Alltag.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr kam eigens zu einem Grußwort an die Kongress-Teilnehmer in die Telgter Fachklinik. „Allein der prognostizierte Anstieg auf 2,2 Millionen Demenzkranke im Jahr 2030 zeigt, dass dieses Thema dringend in die Mitte der Gesellschaft geholt werden muss“, sagte der Politiker. Dabei gehe es neben medizinischen und versicherungsrechtlichen Fragen auch um Infrastruktur, Städteplanung und barrierefreies, selbstbestimmtes Wohnen. Der Kranken- und Altenpflege komme künftig eine noch wichtigere Rolle zu. Ein neues Verständnis von Pflegebedürftigkeit solle sich an den jeweils noch vorhandenen Fähigkeiten orientieren. „Außerdem brauchen wir eine neue Kultur des Vertrauens in der Pflege und müssen Überbürokratisierungen abbauen“, so der Minister.

Professor Dr. Heinrich Schulze Mönking, Ärztlicher Direktor des St. Rochus-Hospitals, hatte in seiner Begrüßung unterstrichen, dass das Thema Demenz in den vergangenen Jahren in der Medizin an Bedeutung gewonnen habe und „inzwischen in nahezu allen Fachdisziplinen angekommen ist“.

Matthias Schulte, Vorsitzender des Ethik-Komitees der Fachklinik und Moderator der Konferenz, hob den besonderen Anspruch konfessioneller Hospitäler und Träger hervor, von Demenz betroffenen Patienten „mit Fachkompetenz, Respekt und Würde“ zu begegnen. Die Tagung wolle dafür sensibilisieren und gangbare Wege aufzeigen.